Gas-Frühwarnstufe ausgerufen - Ukraine-Krieg belastet Wirtschaft

Reuters · Uhr

DEUTSCHLAND-ENERGIE:Gas-Frühwarnstufe ausgerufen - Ukraine-Krieg belastet Wirtschaft

- von Holger Hansen

Berlin (Reuters) - Die gravierenden Folgen des Ukraine-Krieges für Wirtschaft und Inflation auch in Deutschland werden immer sichtbarer.

Wirtschaftsminister Robert Habeck rief am Mittwoch die Frühwarnstufe des sogenannten Notfallplans Gas aus, um für einen möglichen Lieferstopp aus Russland gewappnet zu sein. Diese bringt noch keine Einschränkungen. "Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe", sagte der Grünen-Politiker. Die als Folge des Krieges schon sprunghaft verteuerten Energiepreise ließen die Inflationsrate in Deutschland auf 7,3 Prozent schnellen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung schließt eine schwere Rezession nicht mehr aus. Der Wirtschaftseinbruch drohe im Fall eines Importstopps für russische Energielieferungen.

Aus Moskau gab es indes Signale, die darauf hindeuten könnten, dass ein Lieferstopp nicht unmittelbar bevorsteht. Das Präsidialamt erklärte, die verlangte Zahlung in Rubel werde nicht unmittelbar, sondern schrittweise umgesetzt. Bis zum Donnerstag will Russland nach bisherigen Ankündigungen Vorkehrungen treffen, damit Gas in Rubel bezahlt werden kann.

In den vergangenen Jahren bezog Deutschland über die Hälfte seinen Gases aus Russland. In den ersten drei Monaten dieses Jahres ist der Anteil auf 40 Prozent zurückgegangen. Laut Habeck geht das vor allem darauf zurück, dass mit anderen Anbietern neue Lieferverträge für Flüssiggas geschlossen wurden. Um von russischem Gas unabhängig zu werden, benötigt Deutschland nach früheren Äußerungen Habecks noch bis Mitte 2024.

Im Fall eines Stopps der russischen Gaslieferungen kann aus Sicht des Energieverbandes BVEG nur verflüssigtes Erdgas (LNG) rasch Abhilfe schaffen, etwa aus Katar. Dafür seien aber Weltmarktpreise zu zahlen, und die Konkurrenz sei groß. Die chemische Industrie befürchtet laut ihrem Spitzenverband VCI einen "industriellen Flächenbrand", wenn das Gas ausginge und Produktionsanlagen stillstünden.

HABECK: VORSORGEMASSNAHMEN ERHÖHEN

Vorerst ist diese Zuspitzung aber nicht in Sicht. Habeck verwies darauf, dass staatliche Eingriffe in den Gasmarkt derzeit nicht nötig seien. "Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen, um für den Fall einer Eskalation seitens Russlands gewappnet zu sein", begründete er die Ausrufung der Frühwarnstufe. Sie ist nur die erste von drei Krisenstufen und verstärkt vor allem die Zusammenarbeit von Behörden und Gasversorgern, um für einen möglichen Gasmangel gewappnet zu sein. Erst in der dritten und letzten Notfallstufe müsste vor allem die Industrie mit staatlichen Einschränkungen rechnen. Haushalte gelten als geschützt und würden auch dann weiter beliefert. Der Bundesverband der Elektrizitätswirtschaft BDEW forderte, Vorkehrungen für die Notfallstufe zu treffen.

Wenn Russland seine Gas- und Öllieferungen einstellen sollte, "dann werden wir damit umgehen können", sagte Habeck. Entscheidend sei, wie voll die Gasspeicher im Herbst und zum Winter hin seien. Die Speicher seien zu etwa 25 Prozent gefüllt, derzeit würden alle Lieferverträge erfüllt. Er rief Wirtschaft und Verbraucher auf, Gas und Energie insgesamt zu sparen. "Jede eingesparte Kilowattstunde Energie hilft", sagte der Minister.

Hintergrund ist die Ankündigung Russlands, Gas und Öl nur noch gegen Zahlung in Rubel zu liefern. Damit hatte Russlands Präsident Wladimir Putin auf die Sanktionen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine reagiert. G7-Staaten wie Deutschland lehnen dies ab und verweisen darauf, dass die Verträge eine Bezahlung in Euro und Dollar vorsähen.

In der Notfall-Stufe käme der Bundesnetzagentur eine entscheidende Rolle zu, die auch im Krisenteam beim Wirtschaftsministerium vertreten ist. Sie übernähme in einer Gasmangellage die Zuteilung der Gasmengen. Ihr Präsident Klaus Müller nannte die Ausrufung der Frühwarnstufe richtig. Ziel bleibe es, eine Verschlechterung der Gasversorgung durch Einsparungen und Zukäufe zu vermeiden. Die Bundesnetzagentur "bereitet sich auf alle Szenarien vor", twitterte Müller.

Die Bundesregierung setzt zur Entlastung auf mehr Strom aus Kohle. "Kohlekraftwerke werden mit mehr Volllast laufen als bisher" , sagte Habecks Staatssekretär Patrick Graichen nach einem Treffen der Energieminister der Länder. Allerdings geht am Freitag laut Stilllegungsplan das RWE-Braunkohlekraftwerk Neurath A vom Netz. Eine Reuters-Anfrage, ob es dabei bleibe, wurde vom Wirtschaftsministerium zunächst nicht beantwortet. Die Bundesnetzagentur erklärte: "Nach geltender Rechtslage wird der Block stillgelegt."

Neueste exklusive Artikel